Der Wetzlarer Verein für Luftfahrt e.V., kurz VfL, hat eine fast 100-jährige Vereinsgeschichte. Dabei gehört der VfL nicht einmal zu den ältesten Luftsportvereinen, auch nicht im heimischen Raum. Die Darmstädter (1909), die Gießener (1920), die Gersfelder (1922) und die Segelflieger im benachbarten Hirzenhain (1923) gehörten schon früh zu den Pionieren des motorlosen Fliegens. Die Vereinsgeschichte zeichnet auch die enorme Entwicklung nach, die die Luftfahrt im letzten Jahrhundert erlebt hat. Unverändert über die Jahrzehnte gelten die satzungsgemäß verbrieften Ziele der Vereinstätigkeit des VfL: Selbst Freude am Luftsport zu haben, Freunde für die Idee der Luftfahrt zu gewinnen und insbesondere der Jugend fördernd zur Verfügung zu stehen.


In Wetzlar gab es um 1927 schon erste private Bemühungen, die den Bau von Flugzeugteilen für einfache Gleitflugzeuge in Gang setzten. Der spätere Ehrenvorsitzende des VfL, Julius Kittner, ergriff 1929 die Initiative. Eine öffentliche Versammlung am 9. Januar 1929 im Hotel Grünes Laub beschloß die Gründung eines Vereins, der unter dem Namen Wetzlarer Verein für Luftfahrt in das Vereinsregister eingetragen wurde. Dem ersten Vorstand gehörten an: August Bauer, Julius Kittner, Franz Bauer, Ernst Leitz jr. und Franz Kornder.

Wenig später war bereits ein „Zögling“ nach Plänen der Rhön-Rossitten-Gesellschaft in Bau. Im August 1929 begannen damit erste Flugversuche, kleine Sprünge, am „Watze Wäldche“ hinter dem alten Krankenhaus. Das Gelände erwies sich aber als zu kurz, einige Piloten landeten im Wald. Auch das Gelände am Simberg bei Niedergirmes entsprach nicht den Anforderungen für den damals praktizierten Gummiseilstart. Notgedrungen musste man den weiten Anmarschweg nach Hirzenhain im Dillkreis an den dortigen Nordwesthang in Kauf nehmen. Bei allen Schwierigkeiten konnte der junge VfL 1930 auf ein erfolgreiches erstes Vereinsjahr zurückblicken. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung taufte Bürgermeister Dr. Kühn am 25. Mai 1930 auf dem Domplatz den Zögling auf den Namen Stadt Wetzlar.

1930 Taufe des Zöglings auf dem Domplatz

Mittlerweile hatte man auf der Hohen Warte bei Aßlar ein geeignetes Segelfluggelände gefunden und wurde sich mit Gemeinde Aßlar und Grundstücksbesitzern einig. Gemeinsam mit den Aßlarer Kameraden wurden dort Hallen zum Unterstellen der Flugzeuge errichtet. Damit entstand ein recht lebendiger Segelfliegerhorst. In den Werkstätten bei Bauer, Leitz und Frech wurden bis 1937 weitere Segelflugzeuge in Eigenleistung gebaut. Darunter der Doppelsitzer „Poppenhausen“, die „Grüne Post“ und schließlich ein „Rhön-Adler“. Mit einem „Baby“ hielt Hans Mulch den Dauerflugrekord in Aßlar mit 1 Stunde 56 Minuten. 


1930 Gummiseilstart von der Hohen Warte bei Asslar

Die von den Segelfliegern durchgeführten Veranstaltungen erfreuten sich in weiten Kreisen der Bevölkerung allgemeiner Beliebtheit. Flugtage mit Rundflügen, Vorführungen und Fallschirmabsprüngen begeisterten. Die Garbenheimer Wiesen dienten schon in der Vorkriegszeit als „Flughafen Wetzlar“ unter Organisation des VfL für Wertungslandungen beim Wettbewerb Deutschlandflug.



1937 wurde das Eigenleben des VfL unterbrochen. Er wurde, wie alle Luftfahrtvereine, vom Nationalsozialistischen Fliegerkorps, einer paramilitärischen Nebengliederung der NSDAP, übernommen. Mit den laufenden Kriegsvorbereitungen diente der Segelflugsport den Interessen der Nationalsozialisten zur Rekrutierung und Ausbildung für Luftwaffe und Wehrmacht. 1945 standen auf der Hohen Warte zusammen mit den vom ehemaligen Verein Selbstgebauten 16 Segelflugzeuge mit allem nötigen Zubehör. Nach Kriegsende wurden die Werte konfisziert oder zerstört, der Fliegerhorst Hohe Warte zerschlagen. Zivile Luftfahrt blieb bis 1951 verboten.



Der Traum vom Fliegen blieb aber in vielen Köpfen präsent. Am 29.07.1950 wurde in der Wetzlarer „Alten Post" die Interessengemeinschaft für Segelflug und Modellbau (ISM) in Anwesenheit von etwa hundert Interessierten gegründet. Ungefähr achtzig gaben ihre Beitrittserklärung ab. Aus der ISM wurde noch 1950 wieder der Wetzlarer Verein für Luftfahrt.

Die Modellflieger traten dann als erste in der Öffentlichkeit wieder auf den Plan. Am 30.6 und 1.7 1951 fanden in den Garbenheimer Wiesen die Modellflug-Landesmeisterschaften statt. „Wir dürfen wieder fliegen“ war die Überschrift im Programmheft. Helmut Walther holte sich den Titel des Hessischen Modellflugmeisters und verwandelte ihn wenige Wochen später in den Titel „Deutscher Modellflugmeister 1951". Mitte Oktober 1951 veranstaltete der VfL dann seinen 1. Flugtag nach dem Kriege in den Garbenheimer Wiesen. Rhönvater Ursinus war der Schirmherr dieser gelungenen Veranstaltung.


1950 Wetzlarer Flieger unterwegs


In der Carolinenhütte H. Jung war es möglich geworden, eine neue Werkstatt einzurichten. Es musste wieder von vorne begonnen werden. Flugzeuge, Seilwinde und Transportwagen wurden in unzähligen Stunden in Eigenleistung erstellt. Im März 1954 stellte der Verein auf dem Domplatz drei eigene Segelflugzeuge (SG 38, Grunau Baby, Kranich III) für die Taufe aus. 



Geflogen wurde inzwischen regelmäßig in den Garbenheimer Wiesen, deren Eigentümer und die Gemeinde Garbenheim viel Verständnis und Entgegenkommen zeigten. Die folgenden Jahre bestätigten die gute Wahl der Garbenheimer Wiesen als ideales, stadtnahes Segelfluggelände. Überregional zeigt es in Fliegerkreisen große Beliebtheit mit seinem hindernisfreien Anflug und seiner außergewöhnlich langen Windenschleppstrecke, die hohe Ausklinkhöhen und guten Anschluss an die Thermik ermöglicht. Die Garbenheimer Wiesen waren und sind Ausgangspunkt für unzählige, weite Segelflüge in alle Himmelsrichtungen. Die größte geflogene Strecke von hier gelang Jörg Mathes am 27.7.2022 mit einer Distanz von über 1000 km. Der vom VfL seit 1991, jetzt jährlich in der ersten Maiwoche, ausgerichtete Segelflugwettbewerb „Wetzlarer Woche“ lockt Teilnehmer aus ganz Südwestdeutschland und den Niederlanden an. 


1955 Flugbetrieb in den Garbenheimer Wiesen

1993 Teilnehmer der Wetzlarer Woche

2018 Startaufstellung zum Wettbewerb Wetzlarer Woche


Regelmäßig treffen sich die Modellflieger zu regionalen und überregionalen Wettbewerben auf dem Modellfluggelände vor der Flugzeughalle. In den 70er Jahren förderte der jährliche Deutsche Wettbewerb für Elektroflugmodelle in Wetzlar, organisiert von Helmut Walther, die enorme Entwicklung dieser Sportart. Zuletzt fanden im August 2025 Deutsche Meisterschaften der Modellflug-Klasse F3L in Garbenheim statt.

2023 Sieger eines Modellflugpokals

1962 wurde der Grundstein für die Flugzeughalle gelegt. Im Anschluß an die Fertigstellung schlossen in den folgenden Jahren Werkstatt, Aufenthaltsraum und andere Verbesserungen als An- und Ausbauten das Bauvorhaben ab. Wieder in schweißtreibender Eigenleistung. Verbindungsweg und Schleppstrecke planierten und verfestigten die Vereinsmitglieder mit tonnenweise Material. 1994 erfolgte die Aufstockung des Werkstattanbaus. Es entstanden ein moderner Aufenthalts- und Schulungsraum und eine neue Modellflugwerkstatt.


2017 Vereinsheim frisch verputzt

In den 70er und 80erJahren des vergangenen Jahrhunderts revolutionierten Glas- und Kohlefasern die Bauweise im Flugzeugbau. Der VfL stellte schrittweise seinen Flugzeugpark auf immer leistungsfähiger werdende Kunststoffflugzeuge um. Mit der DG 1000 T besitzt der VfL heute einen der modernsten Doppelsitzer mit 20m Spannweite, der ideal für raumgreifende Segelflüge ebenso wie zur Schulung geeignet ist. Die insgesamt sechs Vereinsflugzeuge bieten den heute 35 aktiven Segelfliegern alle Möglichkeiten, vom Anfänger bis zum ambitionierten Streckenpiloten. Mit der ebenso großen Modellfluggruppe und drei Dutzend Förderern lebt der VfL den Luftsport in lebendiger Gemeinschaft.

1978 Erste Sitzprobe im Kunststoffdoppelsitzer Twin Astir

2015 Vorsitzender Jörg Mathes begutachtet das neue Vereinsflugzeug DG 1000

2022 Kreisen in der Thermik über Lahn und Garbenheimer Wiesen

Steffen Hengst
Quellen- und Bildnachweis: Archiv des Wetzlarer Verein für Luftfahrt e.V.